Einem Hochstapler gelang der Einstieg in eine Spitzenkanzlei. Er schlüpfte durch 4 Lücken in der Personalauswahl, sodass sein Höhenflug auch nach seinem Ausscheiden noch unentdeckt blieb.
Krimineller Höhenflug
Eine renommierte Kanzlei hatte 2016 einen Studienabbrecher mit gefälschten Prädikatsexamina (12,48 und 11,64 Punkten) zum Vorstellungsgespräch nach München eingeladen.[1] Entgangen war ihr, dass die Zeugnisse mehrere Fehler enthielten, u. a. eine Prüfung unmöglich an einem Pfingstmontag hätte abgelegt werden können.[2] Man habe dem vermeintlichen Spitzenjuristen die Stelle im Vorstellungsgespräch schmackhaft gemacht. Spitzfindige Fragen habe der spätere Vorgesetzte nicht gestellt, aus Angst, er könnte den Spitzenmitarbeiter in Spee verlieren. Er gewinnt ihn tatsächlich, habe ihn einen Crashkurs durchlaufen lassen und überschaubar anspruchsvolle Aufgaben im Immobilienrecht übertragen. Im Hintergrund, ohne Mandantenkontant und Endverantwortung.
Juristischer Tiefflug
Dem scheinbaren Brillanten seien allerdings glanzlose Fehler unterlaufen, die sich sein Vorgesetzter u. a. mit überheblicher Nachlässigkeit erklärt habe. Pünktliche Feierabende seien ihm zudem wichtiger gewesen als fristgerechte Abgaben. Nachdem er gekündigt hatte, glaubte die Kanzlei laut Arbeitszeugnis weiterhin, einen „sehr guten Juristen“ verloren zu haben.
Später Absturz
Erst der übernächste Arbeitgeber in Spee schöpfte Verdacht. Inzwischen erging ein Urteil wegen Betruges und Urkundenfälschung, die Berufung wurde verworfen.[3] Die Anhörungen legten offen, durch welche Lücken der Hochstapler geschlüpft war.
Lückenhaftes Anforderungsprofil
Ausgang einer jeden Personalauswahl sollte eine Anforderungsanalyse sein, die systematisch alle erfolgsrelevanten Merkmale eines Kandidaten erfasst.[4] Eignungsmerkmal eines guten Juristen sind zweifellos seine juristischen Kenntnisse. Doch zeichnet sich ein guter Immobilienanwalt allein durch gute Studienleistungen aus? Jedenfalls erkannte die Kanzlei erst nach Arbeitsantritt, dass Überheblichkeit, Nachlässigkeit und Faulheit der Advokatur nicht zuträglich sind. Das Anforderungsprofil hätte entsprechende Persönlichkeitsdimensionen enthalten müssen.
Oberflächliche Zeugnisprüfung
Die Bewerbung begann mit dem Versand von eingescannten und zuvor gefälschten Zeugnissen per E-Mail. Obwohl die Kanzlei großen Wert auf die „Papierform“ zu legen schien, hat sie die „Originale“ vermutlich nie in die Hände bekommen. Rechtschreibfehler auf den Zeugnissen und ein Feiertag als angebliches Prüfungsdatum blieben unbemerkt. Bei Dokumentenanalysen ist besondere Sorgfalt geboten, nicht nur um dreiste Fälschungen zu erkennen, sondern um bereits subtile Schönfärbereien zu entlarven.
Bewerbungsgespräch Anwerbungsgespräch
Im Vorstellungsgespräch habe man den heißen Kandidaten nicht gegrillt. Man habe ihm die Position schmackhaft gemacht und ihn nicht durch Testfragen verschrecken wollen. Dabei schätzen Bewerber Vorstellungsgespräche um ihren Fähigkeiten zu zeigen. Dieser und der Möglichkeit, solche Fähigkeiten zu überprüfen, beraubte sich die Kanzlei durch ihre Gesprächsführung.
Paradoxes Eignungsurteil
Einst eingestellt seien dem Hochstapler Fehler unterlaufen, wohlgemerkt bei überschaubar anspruchsvollen Aufgaben. Dass die Kanzlei laienhafte Fehler für das Ergebnis der vermeintlichen Genialität hielt, scheint paradox. Tatsächlich tendieren Beurteiler dazu, trotz widersprüchlicher Informationen ein konsistentes Eignungsurteil zu bilden (Konsistenzeffekt). Dieser Konsistenzeffekt verdeckte den Widerspruch zwischen Qualifikation und Kompetenz. Fehlende Kenntnisse wurden sogar mit der Überheblichkeit ihres Verursachers verklärt. Obwohl schlechte Arbeitsergebnisse nie „eigentlich gut“ sind, nicht, wenn sie auf Überheblichkeit beruht haben mögen, insbesondere auch nicht, wenn die Examensergebnisse wahr gewesen wären.
Evaluation?
Mittels Personalauswahl soll eine gültige Prognose über die berufliche Leistungsfähigkeit eines Kandidaten getroffen werden. Um festzustellen, ob dieses Ziel erreicht wurde, muss der gesamte Auswahlprozess evaluiert werden. Die Defizite der Zeugnisprüfung und des Vorstellungsgesprächs sind offenbar. Doch hätten die Personalverantwortlichen die Leistung eines Bewerbers prognostizieren können, wenn die Personalauswahl korrekt durchgeführt worden wäre? Noten hängen lediglich zu 37 – 46 % (Korrelationskoeffizient) mit beruflicher Leistung zusammen. Längst nicht jeder gute Akademiker ist demnach auch ein guter Anwalt. Ein Vorstellungsgespräch, sofern es in Form eines strukturierten Interviews geführt wird, hängt mit immerhin 51 % mit der beruflichen Leistung zusammen. Ein ähnlicher hoher Zusammenhang besteht bei Arbeitsproben und Wissenstests – sofern solche Auswahlverfahren denn angewandt werden…
You can assess me
Ein lückenloser Personalauswahlprozess ist nach der Einstellung eines Kandidaten noch nicht abgeschlossen. Er besteht aus 4 Schritten, die nicht nur aufeinander aufbauen, sondern zirkulär verbunden sind.
- Festlegen aller erfolgsrelevanten Eignungsmerkmale (nicht nur Examensnoten) in einem Anforderungsprofil
- Auswählen geeigneter Verfahren (nicht nur Zeugnisprüfung) zur Erfassung dieser Eignungsmerkmale
- Bilden eines Eignungsurteil mittels dieser Verfahren
- Evaluieren des Eignungsurteils und ableiten von Verbesserungsmaßnahmen für zukünftige Personalauswahlprozesse
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Vincent Schwerd ist Personalberater für Wirtschafts- und Steuerrecht. Er studierte Psychologie an der Universität Bern und ist von der Deutschen Psychologenakademie zertifizierter Eignungsdiagnostiker.
[1] https://openjur.de/u/2331287.html
[2] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/lg-muenchen-prozess-pruefung-gefaelschte-examen-praedikat-betrug-anwalt-grosskanzlei/
[3] https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/lg-muenchen-hochstapler-urkundenfaelschung-betrug-vermoegensschaden-praedikatsexamen/
[4] Personalauswahl kompetent gestalten: Grundlagen und Praxis der Eignungsdiagnostik nach DIN 33430